Geplant war eine lustige Spritztour auf der Ostsee, doch die zwei Wassersportler hatten Pech – ihre Motorjacht lief bei Windstärke vier auf Grund und saß fest. Nichts ging mehr. Ein klassischer Fall für die Helfer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Sie hörten den Notruf und schickten die „Henrich Wuppesahl“, ein Rettungsboot mit 380 PS. Damit gelang es, den Havaristen wieder flottzumachen und in den Hafen von Neustadt zu eskortieren.

Bundespräsident Gauck kam zur Schiffstaufe nach Bremen

Das zehn Meter lange Schiff hatte so seine erste Einsatzfahrt mit Bravour bestanden – nur wenige Wochen nach der Taufe in Bremen, zu der eigens Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt angereist war. Für Gauck dürfte die Veranstaltung im Mai 2015 ein ganz besonderes Erlebnis gewesen sein, denn gebaut wurde das Zehn-Meter-Boot in seiner Heimatstadt Rostock, wo die Werft Tamsen Maritim ihren Sitz hat.

Das Unternehmen hat offenbar einen guten Job gemacht, denn mittlerweile gab es mehrere Folgeaufträge von den Seenotrettern. Ende 2016 wurden drei weitere Schiffe des gleichen Typs geordert, zwei davon sind bereits in Arbeit.

Geschäftsführer Christian Schmoll: „Diese Schiffe sind ganz spezielle Konstruktionen, die sich durch eine optimale Manövrierfähigkeit und eine hohe Belastbarkeit auszeichnen. Und sie sind ziemlich schnell, ihr Maximaltempo liegt bei 18 Knoten, was etwa 33 Stundenkilometern entspricht.“

Ein weiteres Merkmal: Die Schiffe sind sogenannte „Selbstaufrichter“. Das heißt, dass sie sich selbst nach dem Kentern immer wieder in die normale Schwimmlage drehen.

Momentan allerdings liegen sie beide kieloben in der Halle, denn das erleichtert den Schiffbauern die Arbeit. Schmoll klopft gegen den matt glänzenden Rumpf, der gerade mit der Flex bearbeitet wird. „Hochfestes Aluminium“, sagt er. „Das spart Gewicht und sorgt dafür, dass es keine Rostprobleme gibt.“

In der angrenzenden Halle liegt ein weiteres Wasserfahrzeug der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, allerdings deutlich größer. Der Kreuzer wird komplett überholt und bekommt unter anderem einen neuen Anstrich.

Windturbinen-Flügel mit bis 75 Meter Länge

Geschäftsführer Schmoll: „Dieser Auftrag steht für unseren zweiten Geschäftsbereich neben dem Neubau, nämlich für Reparatur und Modernisierung. Da waren wir immer schon sehr engagiert, deswegen wissen die Kunden, dass wir dort jede Menge Erfahrung haben.“

Der dritte Geschäftsbereich ist ein echtes Wachstumssegment, mit dem die Werft ihr Angebot geschickt erweitert hat, um am Boom der Windbranche teilzuhaben. Schmoll eilt in die 80 Meter lange Nachbarhalle. „Willkomen in unserer Composite-Abteilung“, sagt er. „Hier fertigen wir Formwerkzeuge, Großbauteile und Modelle für Windturbinenbauer. Formen bis 75 Meter Länge sind kein Problem für uns, aber wir können auch liefern, wenn es um andere Sandwichbauteile aus Kohle- oder Glasfaser geht.“

Möglich macht das eine 70 Meter lange Anlage, auf die der Geschäftsführer ganz besonders stolz ist: Europas größtes Fünf-Achs-CNC-Fräszentrum – eine Maschine, die die riesigen Bauteile mit einer Präzision im Zehntelmillimeterbereich bearbeitet. Diese Genauigkeit ist wichtig, da die langen Rotorblätter extrem hohen Kräften ausgesetzt sind, wenn der Wind ordentlich weht.

Mit den drei Geschäftsbereichen ist es der Werft gelungen, den Umsatz innerhalb weniger Jahre zu verdoppeln – und das in einer Phase, in der viele andere Schiffbauer durch schlechte Nachrichten von sich reden machen.

Auch Tamsen Maritim hat schwierige Zeiten hinter sich. Das Unternehmen am Ufer der Unterwarnow ging aus der SMG-Werft hervor, die auf Luxusjachten gesetzt hatte und im Kielwasser der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 zum Insolvenzfall wurde. Doch der Betrieb hatte Glück, er wurde nicht abgewickelt, sondern vom Hamburger Unternehmer Heiner Tamsen übernommen.

„Die Werft war wie ein schlafendes Dornröschen“

Das war im Herbst 2009. „Unser neuer Eigentümer hat das Potenzial der Werft sofort erkannt“, sagt Schmoll. „Das Unternehmen war wie ein schlafendes Dornröschen, man musste es nur aufwecken.“

Von der Übernahme profitierte auch die Belegschaft. „Damals hatten wir gerade noch 54 Leute auf der Lohnliste“, erzählt ein älterer Kollege bei einer Zigarettenpause vor der Tür. „Heute sind es rund 100 Mitarbeiter, und da ist noch viel Luft nach oben, wenn wir weiterhin eine gute Auftragslage haben.“

Damit das so bleibt, investiert das Unternehmen verstärkt in die Ausbildung. Schmoll: „Derzeit haben wir etwa 20 Azubis. Mit dieser Ausbildungsquote dürften wir regional an der Spitze liegen, und es gibt auch gute Gründe dafür: Wir müssen dem demografischen Wandel aktiv begegnen, wenn wir unsere Zukunft sichern wollen.“

In der Halle wird unterdessen emsig an den Seenotrettungsbooten weitergearbeitet. Laut DGzRS sind die Einsatzschiffe der Organisation im Schnitt 30 Jahre auf Nord- und Ostsee unterwegs, bis sie altersbedingt ausgetauscht werden müssen. Rein rechnerisch ergibt sich daraus ein Bedarf von zwei neuen Schiffen pro Jahr.

Dank Wiedervereinigung gab es jedoch in Mecklenburg-Vorpommern einen Sondereffekt: Aufgrund veralteter Technik mussten zwischen 1990 und 1994 insgesamt 24 Neubauten in Dienst gestellt werden. Schiffe also, die spätestens Anfang des kommenden Jahrzehnts Ersatz brauchen. Gute Aussichten für die Werften der Region.

Clemens von Frentz
Leiter aktiv-Redaktion Nord

Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.

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