Verspiegeltes Helmvisier, unförmige Handschuhe und ein langer silbergrauer Mantel – wenn Schmelzer Jan Steffen (31) seinen Job macht, ist er selbst für die Kollegen kaum zu erkennen. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn die Mitarbeiter bei Mecklenburger Metallguss (MMG) sind so gut aufeinander eingespielt, dass alles reibungslos läuft, selbst bei außergewöhnlichen Aufträgen.

Und genau so ein Auftrag steht an diesem Tag an. Der Betrieb in Waren an der Müritz (Mecklenburg-Vorpommern) plant den Guss einer Schiffsschraube, die größer sein wird als alle Modelle, die bisher in dem Betrieb entstanden. Der Propeller soll einen Durchmesser von 10,4 Metern haben und im fertigen Zustand 120 Tonnen wiegen.

Die letzten Vorbereitungen laufen bereits. Jan Steffen füllt mit einer langstieligen Kelle flüssiges Metall in eine kleine Gussform. „Das ist für spätere mechanische Werkstoffproben“, erklärt er. Dann wird eine zweite Form gefüllt. Diese Probe geht zur chemischen Analyse.

Als er kurz den Schutzschirm nach oben schiebt, wird sein angespanntes und verschwitztes Gesicht sichtbar. An der 80-Tonnen-Gießpfanne, die auf Höhe der Arbeitsbühne am Kran hängt und bis zum Rand mit flüssigem Metall gefüllt ist, herrscht eine Affenhitze. Die Schmelze hat eine Temperatur von über 1.000 Grad Celsius erreicht und ist fertig für den Guss.

Während die Gießpfanne durch die Halle schwebt, nimmt die Crew ihre Plätze ein. Zehn erfahrene Metallurgen stehen auf der hausgroßen Gussform, die mit 400 Tonnen Quarzsand gefüllt ist. In dem feinen Sand ist der Hohlraum für den Propeller ausgeformt worden. Vier Wochen lang hat das gedauert.

Die Männer sind umgeben von aufgetürmten Stahlgewichten. Rund 800 Tonnen Auflast sorgen dafür, dass beim Einfüllen des flüssigen Metalls nichts aus der Form gerät.

Geleitet wird der Guss von Marcel Nürnberg, einem alten Hasen in seinem Metier. Er schaut gelassen in die Runde. Nürnberg weiß: Er kann sich auf jeden Kollegen hundertprozentig verlassen, immerhin sind die meisten von ihnen seit Jahren dabei.

Trotzdem ist das Team wie vor jedem Abguss noch mal eingewiesen worden, alle denkbaren Störfaktoren wurden gecheckt. Würde etwa die Fernbedienung des Krans plötzlich ausfallen, stünde ein Mann bereit, um sofort die Steuerung zu übernehmen. „Hat der Abguss einmal begonnen, gibt es kein Zurück mehr“, sagt Nürnberg. „Der Vorgang darf nicht unterbrochen werden.“

Um 11.10 Uhr gibt er das Startsignal. Die Pfanne wird an die Gießrinne herangefahren und langsam geneigt. In dem Bottich schwappen 80 Tonnen Schmelze einer Legierung, die zu 80 Prozent aus Kupfer, 9 Prozent Aluminium sowie je 5 Prozent Eisen und Nickel und 1 Prozent Mangan besteht.

Das Thermometer zeigt 1.171 Grad Celsius, nun gilt’s. Das Metall fließt in die Gießrinne, aus dem Schmelzofen gleich nebenan kommen weitere 80 Tonnen hinzu.

Am Ende der Rinne steht Zuhälter Peter Müller. Sein Job: Er muss die zwei Fallläufe, die zum Hohlraum der Gussform führen, mit kegelförmigen Abdichtern zuhalten und erst öffnen, wenn die Zulaufwanne komplett gefüllt ist. Als er die „Stöpsel“ zieht, verschwindet das flüssige Metall in der Form. Ab nun sind auch die Fachleute dem Lauf der Schmelze ausgeliefert, ein Eingreifen ist kaum noch möglich.

So ein Guss ist „eine Art schwarze Kunst“, sagt Manfred Urban, vor Überraschungen sei man nie gefeit. Der Geschäftsführer von MMG hat es sich nicht nehmen lassen, den Premierenguss für den bisher größten Schiffspropeller live mitzuerleben.

Der 60-Jährige ist seit 35 Jahren an Bord und hat maßgeblichen Anteil daran, dass MMG so gut dasteht. Pro Jahr werden in dem Betrieb 12.000 Tonnen Metallrohstoffe verarbeitet, das reicht für etwa 150 Propeller. Das heute gegossene Modell geht nach Asien und soll künftig einen Frachter mit 19.400 Containern antreiben.

Nach 20 Minuten ist der Hauptguss beendet. Viermal noch wird flüssiges Metall nachgegossen, denn die Legierung schrumpft beim Abkühlen. Das allerdings dauert – selbst 14 Tage später hat das Gussteil noch eine Temperatur von 400 Grad Celsius, nachdem es aus der Form geschlagen wurde. Danach wird der Propeller noch wochenlang mechanisch bearbeitet, bis er schließlich fertig ist für die Auslieferung.

Firmensteckbrief: 251 Mitarbeiter – 85 Millionen Euro Umsatz

  • Die Geschichte der Firma reicht zurück bis 1892, als in Waren eine Maschinenbauanstalt mit Eisengießerei entstand. Die Fertigung von Schiffspropellern begann 1948. Bis 1990 lieferte der Betrieb des Schiffbaukombinats der DDR die Antriebsaggregate vorrangig an die ostdeutschen Werften.
  • 1999 wurde MMG ein Teil der DIHAG Holding (Essen), einem Verbund von zehn Gießereien. MMG erzielte im Jahr 2014 einen Umsatz von 85 Millionen Euro und beschäftigt 251 Mitarbeiter. Der Betrieb wurde bereits mehrmals zum „Unternehmen des Jahres“ in Mecklenburg-Vorpommern gewählt.

Begegnung mit …

Christian Mund: Der Heimkehrer

Die Sehnsucht war stärker. Anfang der 90er-Jahre hatte Christian Mund seinen Heimatort Waren verlassen, um auf einer Werft in Rostock Industriemechaniker, Fachrichtung Produktionstechnik, zu lernen. Nach der Lehre kehrte er jedoch zurück und heuerte bei MMG an. So konnte er, fern der Ostsee, dem Metier des Schiffbaus treu bleiben.

Der 42-jährige Obermeister ist stolz auf seine Arbeit. „Auf einer Werft wird Metall mechanisch bearbeitet“, sagt er. „Wir dagegen bändigen beim Guss die Urgewalt von 1.200 Grad heißem, flüssigem Metall. Diesen komplexen Prozess zu beherrschen, ist ein erhebendes Gefühl.“

Mund dirigiert die Arbeit von 60 Mitarbeitern in der Gießerei. Und er investiert in seine berufliche Zukunft – seit 2013 absolviert er ein berufsbegleitendes Techniker-Studium, Fachrichtung Maschinenbau. In Rostock.

Mein Job

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Anfang der 90er-Jahre habe ich Industriemechaniker in Rostock gelernt. Danach zog es mich zurück nach Waren.

Was gefällt Ihnen besonders?
Die Herausforderung, alle im Team auf den Punkt zu motivieren, um diese großartigen Propellern herzustellen.

Worauf kommt es an?
Man muss sehr gewissenhaft und sehr genau arbeiten, um Fehler vor dem Guss zu finden und zu beseitigen. Wenn das Metall eimal fließt, ist es dafür zu spät.