Auch wenn der Parteitag der SPD den Weg zu Koalitionsverhandlungen mit knapper Mehrheit frei gemacht hat: Die Lust, nicht zu regieren und Verantwortung zu übernehmen, war in Bonn unüberhörbar. Sie passt ins globale Bild: Allerorten wächst die Entschlossenheit, eigene Interessen kompromisslos durchzusetzen.

Präsidenten wichtiger Nationen äußern sich wenig respektvoll über andere Länder, und Staaten und Regionen wollen sich mit knappsten Mehrheiten aus gewachsenen Föderationen lösen. Selbst in unserer gut funktionierenden Demokratie wird die Notwendigkeit zum Konsens immer öfter negiert, werden unvermeidbare Kompromisse als faul abgewertet.

Dabei ist der Ausgleich von Interessen ein unverzichtbarer Faktor für den Erfolg einer freien Gesellschaft: Nur wer sich auf die Perspektive seines Gegenübers einlässt, kann sie verstehen. Nur wer im Ringen um Standpunkte das große Ganze nicht aus den Augen verliert, kann vertretbare Abstriche von eigenen Positionen machen. Das gilt auch für die Tarifpartner der Metall- und Elektro-Industrie: Nur wenn sie die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in eine faire Balance bringen, werden sie die Zukunftsfähigkeit dieses wichtigen Wirtschaftszweiges sichern.

In der aktuellen Tarifrunde ist das nicht leicht. Dass unsere Branche in diesem Jahrzehnt schon Lohnsteigerungen von fast 20 Prozent verkraften musste, wird oft ausgeblendet. Dass Arbeitszeit-flexibilität in Zeiten der Globalisierung und ständig neuer Kundenwünsche nach oben und nach unten, intern und extern organisiert werden muss, bleibt offenbar schwer zu vermitteln.

Der Wert eines Kompromisses hängt nicht zuletzt vom Weg ab, auf dem er erzielt wurde: in freien Verhandlungen oder durch den Druck der Straße. Interessen kraftvoll zu vertreten, ist das gute Recht der IG Metall. Nicht hinnehmbar aber wäre es, wenn dabei die Grenze geltenden Rechts überschritten und das Streikrecht zu Exzessen missbraucht würde. Das wäre nicht nur für alle Beteiligten riskant, sondern führte auch zu erzwungenen Kompromissen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen.