Blaue, grüne und rote Kabel so weit das Auge blickt. Sie durchziehen ein Gerüst aus Aluminium, in dem zahlreiche Rohre, kleine Antriebe und Halterungen für weitere Komponenten befestigt sind. Kurze Anweisungen auf Italienisch, Deutsch und Englisch fliegen durch die Luft. Mittendrin Maurice Kremer. „Ich zeichne Markierungen für die Montage einer Kabelbox an“, erklärt der 23-jährige Mechatroniker bei Airbus Defence and Space (DS) in Bremen.

Was für Außenstehende einem unübersichtlichen Gewirr gleicht, gehört zum Europäischen Service-Modul ESM, an dem Airbus-Ingenieure seit drei Jahren im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur Esa tüfteln. Es ist das Herzstück des neuen Raumschiffs „Orion“ der US-Raumfahrtbehörde Nasa, das Menschen ab 2023 tiefer ins All bringen soll als je zuvor.

Die Bremer Experten bringen jede Menge Erfahrung ein

„Das ESM ist für Antrieb und Energieversorgung zuständig und versorgt die Besatzung mit Sauerstoff und Wasser. Also ein kritischer Part für die Mission“, betont Oliver Juckenhöfel, Standortleiter bei Airbus DS in Bremen.

Zunächst war das Projekt Orion, im Rahmen des Weltraumerkundungs-Programms Constellation von der US Raumfahrtbehörde Nasa aufgelegt, komplett in amerikanischer Hand. Nach dem Stopp des Programms 2010 holte man beim Neustart vor fünf Jahren die Europäer ins Boot – erstmals überhaupt bei einer US-Raumkapsel.

„Am liebsten hätten die Amerikaner alles selbst gemacht, zumal sie schon einige Monate daran gearbeitet hatten“, erinnert sich Juckenhöfel. „Aber so war es für uns natürlich ein Glücksfall.“

Auch in Bezug auf das Timing. Denn damals endete für Airbus DS gerade die Produktion des Raumtransporters ATV. Die Abkürzung steht für das „Automatische Transfer-Vehikel“, das die Internationale Raumstation ISS insgesamt fünfmal mit Nachschub versorgte.

„Aufgrund dieses Know-hows haben wir den Zuschlag für das Service-Modul bekommen“, so Juckenhöfel. „Für uns ist der Bau zwar keine Neu-, sondern eine Weiterentwicklung. Dennoch tun wir vieles zum ersten Mal.“

Aus Zeitgründen wurden Entwicklung und Umsetzung von Hard- und Software von Anfang an parallel vorangetrieben. Seit einem Jahr arbeiten in Bremen bis zu 40 Techniker in drei Schichten daran, die rund 20.000 Bauteile der Zulieferer zu integrieren, darunter viele Kilometer Elektro- und Rohrleitungen, elektrische Geräte, Treibstoff- und Wassertanks, ein Haupt- und 33 weitere Antriebe.

„Wir haben weniger Platz als beim ATV, aber mehr Teile“, sagt ESM-Chefingenieur Matthias Gronowski. Deshalb folgt der Einbau einer strikten Reihenfolge. Wichtige Systeme sind redundant angelegt. Um Kristallisationskeime in Leitungen zu verhindern, erfolgt die Integration im Reinraum.

Ende des Jahres soll das Modul fertig sein

Zeitgleich zur Montage werden bereits einzelne Baugruppen getestet. Die Triebwerke und Elektronik sind gerade in den USA auf dem Prüfstand.

Bei Fragen, die an Schnittstellen entstehen, zieht man Mitarbeiter von Design und Qualitätssicherung hinzu. Die kleinste Abweichung wird im Expertenteam diskutiert. Auch Astronauten werden öfter vor Ort sein, um die Sicherheit des Moduls zu testen.

Interessant wird es im August: „Dann nehmen wir die Elektronikboxen in Betrieb und steuern damit die Ventile und die Sensoren an“, so Gronowski.

Neben technischen Herausforderungen sind es die Koordinierungsprozesse, die Orion zum komplexesten Raumfahrt-Projekt machen, das Airbus DS bisher realisiert hat. Europaweit sind 1.000 Ingenieure und Techniker involviert, unter anderem aus Italien, Frankreich, Belgien und Schweden. Allein 130 arbeiten in Bremen. Als Hauptauftragnehmer hält Airbus DS die Fäden in der Hand. Einmal im Quartal versammeln sich in der Hansestadt bis zu 70 Projektpartner aus Europa und den USA, um Entscheidungen zu forcieren.

Ende 2017 soll das 13,5-Tonnen-Modul fertiggestellt sein und per Frachter in die USA gehen. Hier werden die vier Solar-Generatoren und ein „Adapter“ montiert, der Service- und Crew-Modul verbindet.

Im Jahr 2023 sollen wieder Menschen zum Mond fliegen

Die Rakete, mit der Orion ins All fliegt, ist ebenfalls eine Neuentwicklung. Gronowski: „Es wird einige Zeit brauchen, alle Komponenten zu integrieren und insgesamt zu testen. Deshalb wird der Testflug, der die Kapsel 64.000 Kilometer über den Mond hinaus führen soll, wohl erst 2019 sein.“

Fest steht allerdings schon, dass die dreiwöchige Mission – anders als von Präsident Donald Trump bislang gewünscht – unbemannt erfolgen wird. „Man muss bedenken, dass die letzte Mondlandung mittlerweile 45 Jahre zurückliegt“, so Standortleiter Juckenhöfel. „Für die Nasa stehen Leib und Leben der Astronauten klar an erster Stelle.“

Noch während der Fertigstellung des ersten Service-Moduls, dessen Entwicklung rund 400 Millionen Euro kostet, beginnen die Arbeiten am zweiten Flugmodell. In diesen Nachbau, den die Esa Anfang 2017 für noch einmal rund 200 Millionen Euro bei Airbus bestellt hatte, fließen gleich Erfahrungswerte aus dem ersten Modul ein.

Die ersten Astronauten soll Orion 2023 zum Mond bringen. Langfristig will die Nasa einmal im Jahr ins All starten, dann auch zu Asteroiden und weiter entfernten Zielen wie dem Mars. Ob die dafür benötigten Service-Module ebenfalls aus Bremen kommen, entscheiden Esa und Nasa nach dem Testflug.

„Mit dem Orion-Projekt haben wir die Chance, unser Know-how an die nächste Generation weiterzugeben“, bilanziert Juckenhöfel. „Und natürlich würden wir mit der Esa auch gern einen eigenen Astronauten hochschicken.“